Die Bauwirtschaft ist doppelt gefordert. Zum einen, um die energiepolitischen Vorgaben rund um das Ziel «Netto Null» für die CO2-Emissionen bei den Bauten zu erreichen und zum anderen, um die Mehrwerte digitaler Prozesse und Technologien adäquat einzubinden. Beides bedingt neue und systemische Kompetenzen statt segmentiertes Silodenken.
Herausforderung Dekarbonisierung
Die Dekarbonisierung bedingt nicht nur eine Substitution fossiler Energieträger durch erneuerbare, sondern einen intelligenteren Umgang mit den erforderlichen Systemen und Energieträgern. Synergien, wie sie in einem thermischen Arealverbund mit saisonaler Speicherung oder einem ZEV mit Eigenstromerzeugung, Speicherung und Lastmanagement sowie Integration der E-Mobilität möglich sind, sollten besser ausgeschöpft werden. Dies bedingt deutlich mehr systemische Kompetenz als bisher und eine interdisziplinäre Zusammenarbeitskultur.
Das duale Bildungssystem sichert zwar weiterhin die handwerklich-praktische als auch die akademisch-theoretisch notwendige Qualität, aber bedient weitgehend die disziplinären «Silos». Es fördert kaum die systemisch-interdisziplinäre Entwicklung von Lösungen, die mehr sind als die Summe der einzelnen Beiträge. Insbesondere auf tertiärer Ebene braucht es dringend Angebote, welche dieser Herausforderung besser entsprechen. Dieser Approach ist aber noch kaum verbreitet und sollte an allen Bildungsinstitutionen im Bauwesen verstärkt etabliert werden.
Abb. 1 – Systemische Entwicklung eines Hochhauses im interdisziplinären Studierendenteam (Quelle: HSLU Bachelor+, IP2, 2020)
Herausforderung Digitalisierung
Seit rund einer Dekade sind in der Bauwirtschaft die Erwartungen an die digitalen Möglichkeiten gleichermassen hoch wie unerfüllt. Die Ursache liegt meiner Meinung nach in der fehlenden Bereitschaft, auch in die Grundausbildung zu investieren. Der Einsatz digitaler Technologien und das Führen digitaler Prozessketten bedingt auch in der Bauindustrie grundlegende Kompetenzen, welche heute zwar zum Teil in der Weiterbildung, jedoch kaum in der Ausbildung vermittelt werden. Aber auch hier gilt, dass beide «Welten» in einer systemischen Koexistenz zu etablieren sind und keine neuen «Silos» geschaffen werden.
Es braucht also keine digitalen Spezialisten oder analogen Puristen, sondern eine Ausbildung, die beide Welten bestmöglich vereint. Mit dem ersten und seit Herbst 2020 lancierten Bachelorstudiengang «Digital Construction» an der HSLU oder auch dem seit 2021 neuen Masterstudiengang «VDC» an der FHNW stehen wir auch in der Ausbildung zwar erst am Anfang dieser Entwicklung, aber das ist die Voraussetzung, um den Nachwuchs für die Zukunft zu qualifizieren.
Abb. 2 – Neuer Bachelor-Studiengang «Digital Construction» mit den drei Vertiefungsrichtungen (Quelle: HSLU, DC 2020)
Quelle Titelbild: fsp Architekten AG