Meine Kollegen und ich «screenen» regelmässig Branchen auf ihr Potential, mit neuen Technologien neue Geschäftschancen und -modelle zu realisieren. Die Baubranche ist immer wieder ganz vorne mit dabei. Als Industrie mit immensem Potential für technologische Disruption, die sich jedoch bezüglich Digitalisierung noch im Schlaf der Gerechten befindet.
Innovation ja – Paradigmenwechsel nein
Zwar haben viele neue Technologien und Materialien in die Baubranche Einzug gehalten, die Art wie wir Häuser und Strassen bauen, hat sich jedoch nicht grundlegend geändert.
In Europa – und ganz besonders in der Schweiz – wird, mehr oder minder gut abgestimmt, für die Ewigkeit gebaut. Unwetter, die in den USA ganze Kleinstädte in Sperrholzfelder verwandeln würden, können unseren Bauten meist nicht sehr viel anhaben. Und so hat unsere Bausubstanz eine unglaubliche Alters-Bandbreite.
Ich finde, wir hinterfragen das zu wenig. Zum einen aus einer wirtschaftlichen Perspektive – zum anderen aber auch aus einer ökologischen. Denn eines ist sicher: Die heutigen Bauten werden im Jahr 2500 nicht mehr stehen. Zu stark sind wir auf Neues fixiert, zu stark leben wir in einer Erneuerungskultur – und, anders als früher, haben wir die wirtschaftliche Kraft, diese permanente Erneuerung umzusetzen.
Dem gilt es meiner Meinung nach Rechnung zu tragen. Denn Häuser für die Ewigkeit zu bauen und sie auch für die Ewigkeit stehen zu lassen, ist ökologisch und ökonomisch sinnvoll. Jedoch Häuser, die für die Ewigkeit gebaut wurden, nach 35 Jahren abzureissen, ist in meinen Augen schlicht und einfach unklug. Auch wenn man es sich leisten kann.
Moderne Häuser
So wie ich das sehe, folgt in der Branche niemand diesem grundlegenden Prinzip. Ich vermisse einen Player, der modernste Materialen, Fertigungs- und Montagemethoden kombiniert und mit einem umfassenden Angebot in der Schweiz operiert. Allein damit liessen sich, so schätze ich, 30-40 Prozent der heutigen Kosten einsparen.
Vertikale Integration
Der zweite Punkt, den ich für zukunftsweisend halte, betrifft die vertikale Integration. Ein Anbieter, der alles aus einer Hand anbieten kann, hat im Wettbewerb unglaubliche Vorteile. Zum einen kann er die Vorfertigung von Bauteilen besser koordinieren, zum anderen kann er dem Kunden ein viel besseres Kauf- und Bauerlebnis bieten. Von den vielen Kollegen, die ein eigenes Haus bauen liessen, sagen mir nur ganz wenige, dass sie den Bauprozess entspannt erlebt haben. Von Frust, Missverständnissen und sonstigem Ärger jeglicher Art ist in der Regel die Rede. Durch eine vertikale Integration der verschiedenen Kompetenzen auf einen Player liessen sich diese Probleme eliminieren. Und dabei Kosten senken: Ich gehe von weiteren rund 20 Prozent aus.
Haben wir doch alles schon mit den Fertighausanbietern
Sie werden nun anmerken, dass wir solche Modelle mit den Fertighausanbietern doch schon lange haben. Und ja, eine gewisse Optimierung im Prozess realisieren diese Anbieter bereits. Individuelle Häuser jedoch sind damit nur schwer möglich. Sie müssen bei solchen Anbietern in der Regel immer ein Basis-Hausmodell wählen. Die meisten potentiellen Kunden haben aber bereits sehr konkrete Vorstellungen von Grundriss und Raumaufteilung. In einer Welt, wo ich mir selbst Turnschuhe individuell konfigurieren kann, sollte das mit Häusern doch auch möglich sein.
Software-basiert von A bis Z
Aus Gesprächen mit Leuten aus der Branche weiss ich, dass diese Ideen durchaus vorhanden sind. Drei Dinge fehlen jedoch, um ein solches Bau-Start-Up Wirklichkeit werden zu lassen: Risikobereitschaft, Software-Modell-Kenntnisse und Funding.
Ein vertikal integrierter Anbieter kann die gesamte Produktionskette mit Software abdecken: Von der ersten Planung des Hauses auf der Website bis zur Umsetzung, Bauteilfertigung und Einsatzplanung sollte idealerweise alles auf einer Softwarebasis betrieben werden. Diese umfassende Software gibt es natürlich nicht. Sie wäre sozusagen das Kern-Asset eines solchen Anbieters. Nun benötigt man da erstmal viel Software- und Digitalknowledge und ebenso viel Bau-Knowledge. Und um überhaupt beginnen zu können, bedarf es einer sehr grossen Anfangsinvestition. Eine Kombination, die es offensichtlich (noch) nicht gibt.
Das Produkt digitalisieren
Das Haus selber könnte man digital auch stark verbessern. Ein umfassender Anbieter des Produkts «Haus» könnte eben auch ein integrales System zur digitalen Verwaltung der Hausfunktionalität bieten. Sozusagen ein iPhone in Hausform. Wo Zutrittskontrolle, Wärmeversorgung, Lichtsteuerung, Energieproduktion- und verbrauch, Audio- und visuelle Komponenten zentral gesteuert werden können. Wo Apps fürs Haus von Drittanbieter gestellt werden können. Wo Geräte in Abhängigkeit von anderen Komponenten automatisiert gesteuert werden. Damit wäre ein Smart Home – der heute äusserst zaghafte und gleichermassen komplizierte Versuch, das Leben im Haus angenehmer zu machen – endlich gelebte Realität.
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Christian Frey 30.11.2017, 9:18 ★★★★★
In unserer Studie haben wir die Digitalisierung der Gebäudeautomatisierung, Bau- und Immobilienbranche mal angeschaut. Viel Spass beim Lesen.
https://ili-consulting.de/publications/buildings-and-beyond-2/